WILLKOMMEN

Wir schreiben das hier bei Kerzenschein. Es ist Stromausfall in Dunkelstan. Der Süden Borneos, ganz weit weg. Was nicht dunkel ist, sind die Menschen. Sie scheinen mit einer Herzlichkeit, dass uns ganz warm in der Brust wird. Dies ist sicherlich die emotionalste Etappe unserer Reise. Nicht zu vergessen die Waldmenschen… Liebe auf den ersten Blick….

Ein Wirbelwind heisst uns willkommen

Fangen wir mit den Menschen an oder mit dem Land? Vielleicht einfach der Reihe nach. Grün ist es dort unten, das können wir schon vom Flieger sehen. Trigana Airline bringt uns sicher nach Borneo. Erstes Vorurteil aufgehoben. Es riecht nur etwas komisch. Also grün ist es, was nicht zwingend heissen muss, dass der Regenwald dort unten schon wuchert. Aber zu diesem Dilemma später. Braune Flussläufe winden sich durch das Land. Pangkalan Bun ist sowas wie die Provinzhauptstadt und Einflugschneise zum Tanjung Puting Nationalpark. Der Flughafen ist, nun ja, überschaubar. 20 Meter über die Landebahn und durch ne Tür. Von wegen Immigration und son Terz. Gleich hinter der Tür hüpft irgendein kleines Wesen durch die Gegend, mit einem Schild in der Hand. Willkommen Heike und Dörte. Ein Schwall Worte, eine herzliche Umarmung, und dann sitzen wir auch schon im Taxi.
Siti. Ein Wirbelwind. Mit Kopftuch und einem Gackern in der Kehle, das wir beide uns wissend anschauen. Yep, alles richtig gemacht. Das Schicksal hat es wieder gut mit uns gemeint. Wir hätten ja irgendwen kontaktieren können. Aber nein, wir haben Sitis Email Adresse im Internet gefunden. Siti hat uns zwar nicht der Himmel geschickt, aber irgendetwas anderes. Sie wird immer da sein, uns führen, uns füttern, uns mit ihrer Fürsorge überhäufen. Sie weiss um Dörtis Lebenstraum. Und wird Berge verrücken, damit Borneo uns für immer im Gedächtnis bleibt.
Auf nach Kumai. Wir werden im Hotel abgeladen, mit Programmpunkten überhäuft und zum Dinner um 19 Uhr eingeladen. Siti gackert noch einmal und ist dann auch schon weg. Wir kichern auch, aber über den Zementtrog, der uns im Badezimmer als Waschbecken dienen soll. Wenigstens haben wir ein richtiges Klo. Dieses Loch im Boden ist nicht so unseres… Also stiefeln wir los in den bornesischen (sagt man das so?) Alltag. Man staune, Mofas überall. Willkommen in Asien. Bis zu 5 Personen passen da rauf. Und auch 7jährige sind damit unterwegs. Pff, Fahrräder, is doch was für europäische Gören…. Dörti ist etwas voreingenommmen. Sehr sogar. Man hat ja viel gelesen über den Regenwald und die Orang Utans im Allgemeinen und den Raubbau im Besondern und die Palmenöl-Teufelei im Besondersonderen. Ihr erster Eindruck ist zwar zynisch, doch auch bezeichnend für den Zustand Kalimantans oder gar aller sogenannten Entwicklungsländer. Wie kann so ein kostbares Geschöpf wie der Orang Utan in einem Land überleben, wo doch schon die simpelsten Maxime eines ökologischen Bewusstsein – die Müllentsorgung – fehl schlagen. Aber wir haben uns vorgenommen, dieses Klagelied erst später anzustimmen. Wir wollen uns die Laune nicht verderben.
Borneo-KumaiBorneo-Kumai - das sind ja mal Straßenverhältnisse :-)Kumai mit seinen Moscheen

 

 

 

 

Wir also in Kumai. Eigentlich haben wir gelesen, dass in der Hochsaison Scharen von Touristen einfallen, um mit einem Klotok (dem traditionellen Boot) in den Nationalpark zu schippern. Müssten sie doch eigentlich gewöhnt sein an den Anblick von Langnasen… Wir aufjedenfall fühlen uns in etwa so, wie sich die Orang Utans vorkommen müssen. Beobachtet. Von überall wird uns zugewunken, wirft man uns ein Hello Mister (Misses ham se wohl noch nicht in der Schule gehabt) zu. Wir stiefeln über marode Straßen, vorbei an kleinen Fressbuden, die hier Warung genannt werden, durch enge Marktgassen, Moscheen und Wohngegenden, wo sich Haus an Haus schmiegt, mal nobel mit Zement gebaut, mal ärmlich aus Holzpanelen und Palmendach. Überall Kinder, die uns mit einem umwerfenden Lächeln angrinsen. Aber auch die Erwachsenen sind am grüssen. Heikis Nase ist wieder Extremen ausgesetzt. Und der Smog beisst in den Augen. Siti erzählte uns, dass vor einigen Tagen dichte Rauchschwaden in der Stadt hingen. Irgendwo hatte man ein Stück Wald niedergemetzelt (ihr seht, Dörti versucht zu beeinflussen). Das Stadtbild prägen grosse Betonklötzer, oft sogar auf Wohnhäusern gebaut. Das sind Schwalbenhotels. Lasst es uns mal so ausdrücken: Jeder, der über die finanziellen Mittel verfügt, baut sich son Ding in den Garten. Die Betonmauern haben Löcher, ähnlich wie Schiessscharten. Da fliegt das Federvieh rein und raus. Der Lärm ist beachtlich. Die Kohle, die man mit ihnen machen kann, offenbar auch. Die essbaren Nester werden geerntet und teuer exportiert.
Borneo-KumaiÜberall Betonklötze - Schwalbensucht im ganz großen Stil...Kumai - Ein kleines Städtchen

 

 

 

 

Um 18 Uhr ruft der Iman zum Gebet. Sogar die Hühner schlagen an. Kein Scheiss. Der Verstärker in der Moschee muss gewaltig sein. Es ist betörend laut. Und, wie soll man es sagen, auch irgendwie ergreifend. Wir stehen auf der Hotelterasse und bekommen Gänsehaut. In dieser Welt sind wir überhaupt nicht zu Hause… Und ist genau das nicht der Grund, warum man den Rucksack auf den Schultern trägt? Auch überkommt uns eine klammheimliche Freude. Während man in Deutschland die Muselmanen verteufelt, sitzen wir mit ihnen zusammen und reden über das Leben, die Familie, die Zukunft und die Liebe. Lachen und herzen uns. Könnten sie es doch alle sehen, diese Deppen in Dresden und anderswo…

Später beim Dinner quetschen wir Siti aus. Wir wollen alles wissen. Bildung, Holzfällerei, die Orang Utans, Palm Oil, Religion, das ganz normale Leben. Wir haben einen Tisch reserviert im Warung. Das sind kleine Fressbuden, sozusagen das indonesische Pendant zum Restaurant. Es ist schon angerichtet. Siti, der Energieblitz, hat organisiert. Wir sitzen auf dem Boden. Der Rücken schmerzt nach drei, die Knie nach vier Minuten. Das Essen ist köstlich. Original Dayak, versichert Siti. Dayak ist eine der indigenen Ethnien in Kalimantan. Insgesamt gibt es an die 300! Der Leitspruch Indonesiens bedeutet in etwa: auch wenn wir verschieden sind, so sind wir doch alle eins. Schön, oder? Und es scheint zu klappen. Die Moschee steht neben einer Kirche. Der muslimische Friedhof gegenüber dem christlichen. Siti ist halb Malay, halb von Jawa. Jawanesen gibt es wahnsinnig viele. Die Arbeit auf den Palm Oil Plantagen und in den Mienen hat sie nach Borneo geschwemmt.
Indonesisches Essen - Wo sind denn nur die Stühle? :-)Orginal Dayak EssenEs war einfach lecker...

 

 

 

 

Siti, unsere gute Seele

Diese Frau ist der Hammer. Gerade eben kam sie in unser Hotel gestürmt. Eigentlich hatte sie sich schon verabschiedet. Uns vom Boot abgeholt, aber dazu später. Nunja, auf dem Weg ins Hotel packte sie die To-Do-Liste schon aus. Dann schmiss sie sich auf unser Bett, richtete ihr Kopftuch und diktierte uns die Ausflüge, die wir in den kommenden fünf Tagen unternehmen werden. Mit Karte und allem pipapo. Uns drehte der Kopp, sie kiecherte, markierte die Pick-up Time auf Mittag und verschwand. Gerade eben war sie wieder da. Hatte im strömenden Regen und zappendusterer Nacht noch schnell Nasi Goreng für die kleinen Mädchen geholt. Eigentlich wollten wir gar nix mehr essen… Einmal umarmen und schon war sie wieder weg. Tja, so ist Siti. Aber zurück zum Ankunftstag. Siti. Wohl kaum der Archetyp einer indonesischen Muslimin. 31 Jahre, vier Kinder, geschieden. Muss wohl nicht ganz einfach gewesen sein, das durchzukriegen. Man braucht zumindest einen driftigen Grund und, mit Verlaub, die Eier. Independent woman, bezeichnet sie sich stolz. Das Wort Selbstständigkeit hat hier soviel mehr Bedeutung. Sie ist auch die einzige Frau, die ein eigenes Klotok-Business hat. In ihrem Schlepptau latschen wir zum Hafen, dann zum Klotok, dann in ihr Viertel. Vorbei an Baracken, offenen Schlafzimmern, Familien, die auf dem Gehweg sitzen, Jugendliche, die Gitarre spielen. Einen Abstecher bei Opa, Knicks machen, Wasser entgegen nehmen, Manchester City Plakate bewundern, dann gehts weiter zu ihr. Das Haus teilt sie sich mit der Familie ihrer Schwester. Alles spielt sich auf dem Boden ab. Kein Sofa, nur Decken. Aber ein Fernseher, das muss natürlich sein. Siti reisst ueberall die Tueren auf, zeigt auf die Menschen und quasselt, das hier waere ihre Tante, jene ihre Nichte etc. Sie alle liegen auf Matratzen, das ganze Zimmer ist quasi ein einziges Bettenlager. Die meisten schlafen. Und keiner ist stinkig, dass zwei wildfremde Menschen gerade in ihr Schlafzimmer glotzen. Dass müsste mal einer bei uns zuhause machen… Wir sind, nun ja, etwas schockiert, als wir auch Sitis Zimmer sehen. Eigentlich nur Decken und Matratzen, auf denen ihre vier Kinder liegen. Auf Kleiderbügeln hängen die Klamotten. Das wars. Tja, so sieht also das Leben einer indonesischen Businessfrau aus? Wir wissen nicht wohin mit unseren Eindrücken. So ohne Bewertung, versteht sich. Können wir überhaupt einschätzen, wie arm oder reich diese Menschen sind? Wir haben doch nur unsere Werte als Messlatte. Schwierig.

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